Seiten

Montag, 8. November 2010

Statt einer Kritik: Drei Gedanken zu Woody Allens "Ich sehe den Mann deiner Träume"

Auch dieses Kinojahr vergeht nicht ohne einen neuen Woody Allen. Um es vorweg zu nehmen, „Ich sehe den Mann deiner Träume“ ist nicht so packend wie „Match Point“, nicht so leicht wie „Vicky Cristina Barcelona“ und selten so dramatisch wie „Cassandras Traum“.

Allens neuster Film tendiert eher in Richtung „Schmalspurganoven“: gute Schauspieler, sympathische Geschichte und chaotische Verstrickungen. What you expect is what you get. Wenig Überraschungen. Trotz der bekannten Zutaten setzen sich jedoch ein paar Aspekte besonders eindrücklich fest:

1. Heute ist es für eine Frau einfacher, die eigene Galerie zu eröffnen, als eine Familie zu gründen.

Paare finden und binden sich, hegen die größten Gefühle und später die tiefste Verachtung füreinander. Dabei dreht sich das Karussell für die von Anthony Hopkins, Gemma Jones und Freida Pinto verkörperten Figuren stetig weiter: Heiraten, betrügen, trennen, neu heiraten, verbittert werden, bereuen... In einer Welt, in der alles so offensichtlich nichts bedeutet, gibt es weder Scheitern noch Triumphieren. Das mag am Schluss des Films einerseits ein beruhigendes Fazit sein, andererseits wird der Geschmack schnell schal.

Dies gilt gerade im Hinblick auf Filmcharakter Sally. Naomi Watts spielt die gefrustete Ehefrau, die ihren erfolglos schreibenden Ehemann (Josh Brolin) durchbringt. Eigentlich will sie lieber eine Familie gründen wie all ihre Freunde. Doch es bleiben ihr nur die Assistenzstelle in einer großen Galerie und die Verliebtheit in ihren Chef (Antonio Banderas).

In Watts' verzweifeltem Gesicht spiegelt sich Woody Allens Aussage so deutlich, dass es beinahe zum Fürchten wird. Diese (moderne) Frau scheitert mit ihren altmodischen Wünschen nach einer konventionellen Familienplanung, scheitert mit den Träumen über eine außereheliche Affäre, scheitert darin, ein klares Bild von sich selbst abzugeben. Ihre Figur ist daher diejenige, die am wenigsten Charakter mit in den Film bringt. Bekommt sie den Galeristen nicht, muss sie notgedrungen emanzipiert werden und eine eigene Galerie mit einer Freundin gründen. That's life.

2. Lucy Punch

Schauspielerin Lucy Punch verkörpert als Charmaine den Gegenentwurf zu Sally - der „wet dream“, der sich prostituiert statt schauzuspielern und schließlich mit Sallys Vater im Ehegefängnis landet. Natürlich lässt sich die Sexbombe ihren goldenen Käfig noch mit Brillanten besetzen – kleine Ausbrüche in fremde Männerarme inklusive.

Dieser Tage mit zahlreichen Nebenrollen im Kino präsent beweist Punch, wie man sich in einem Woody Allen Film wirklich unvergesslich macht. In der Originalfassung lassen bereits kleine Laute ihren Vorstadtdialekt bestens zur Geltung kommen. Sie schafft es bis ins Detail überzeugend, das rote Tuch vor den Augen sämtlicher, „anständiger“ Frauen zu sein. Diese sind sich nicht sicher, ob sie gern Charmaines Körper und die gleiche Macht über Männer hätten oder sich weiterhin auf ihre inneren Werte besinnen möchten.

Punch gehören schließlich die schönsten Filmmomente, zum Beispiel, wenn sie um ein neues Cartier-Armband bettelnd an ihren protzigen Ringen kaut oder sich gekonnt auf den Flirt mit dem Fitnesstrainer einlässt. Interessanterweise ist ihre Figur der zugänglichste und irgendwie auch sympathischste aller weiblichen Figuren. Sie nimmt den Alten aus. Geschieht ihm recht. Sie lässt sich auf Affären ein. Warum nicht? Vielleicht ist dies eine von Allens größten Stärken: das Klischee des Playmates in einen ernstzunehmenden Charakter zu verwandeln.

3. Setting: London

Die Vorzüge von Woody Allens Sprung nach England wurden schon in „Match Point“ offensichtlich. Auch für „Ich sehe den Mann deiner Träume“ gelten sie. Der Altmeister findet sich in dem Milieu der britischen Kunstliebhaber, versagenden Schriftsteller und in Patellfarben gekleideten Exfrauen bestens zu recht. Der Zuschauer fühlt sich dort direkt zuhause.

Es sind feine Nuancen des Umgangstons, die die englischen Figuren von den amerikanischen unterscheiden. Dies wird natürlich besonders über die Sprache vermittelt, die Allen in seinem Drehbuch so eingesetzt hat, dass man ihm für dieses genaue Hinhören gratulieren möchte. Beispielsweise die Schriftstellerrunde im Pub unterscheidet sich durch Konversationstempo und Gesprächsablauf gravierend von ähnlichen Konstellationen im typisch-amerikanischen Künstlermilieu.

Was sucht Woody Allen also in London? Abwechslung – die tut seinen Filmen als Basis gut. Aber irgendwo versteckt unter der britischen Ettikette liegt ein Hauch von Ernsthaftigkeit, den nicht alle seiner (durchschnittlichen) US-Produktionen mitbringen.

„You will meet a tall dark stranger“ - so der Originaltitel – erzählt von menschlichen Inseln, die aufeinander zu und wieder auseinandertreiben, im ewigen Fluss. Trotz des fiktionalen Charakters des Films, der durch die Erzählerstimme getoppt wird, rückt der Regisseur damit der Wahrheit beängstigend nah. Und das ist für einen gehobenen Unterhaltungsfilm schon eine ganze Menge!